Das kleine Inselhotel by Sandra Luepkes

Das kleine Inselhotel by Sandra Luepkes

Autor:Sandra Luepkes [Luepkes, Sandra]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Mira saß schon seit mehr als einer halben Stunde bewegungslos auf dem Stuhl im Hauswirtschaftsraum. In der Nähmaschine war das Lämpchen angeknipst und das weiße Garn eingefädelt, der Saum des Vorhangs lag gebügelt und mit Nadeln festgesteckt vor ihr. Eigentlich könnte sie sofort loslegen. Nur noch drei Bahnen mussten genäht werden, dann hatte sie alle Tischdecken umgearbeitet. Das war ein Klacks. In einer halben Stunde erledigt. Und Jannike wartete wahrscheinlich schon darauf.

Draußen schien die Sonne im schönsten Sommergelb, ein paar Gäste entspannten sich im Garten, und die Meteorologen hatten versprochen, dass es noch eine ganze Weile so weitergehen würde. Ein Bilderbuchsommer, Strandwetter vom Feinsten mit Gute-Laune-Garantie.

Doch seit das Fax angekommen war, ging für Mira nichts mehr. Ebbe. Flaute. Stillstand.

Jede Woche um diese Uhrzeit schickte der Internist aus der Klinik in Oldenburg die Laborergebnisse. Und heute war es Mira so vorgekommen, als klänge das Rattern des Faxgerätes anders, irgendwie gewichtiger, nach Schicksal. Es hatte sie regelrecht Überwindung gekostet, in die Papierausgabe zu greifen und das Blatt umzudrehen. Sie war auf der Hut gewesen, hatte sich gegen den Schrecken gewappnet. Dennoch hatten die Zahlenreihen, die für Normalsterbliche wahrscheinlich nichtssagend waren, Mira komplett aus der Bahn geworfen.

Noch hatte sie niemandem davon erzählt. Okko war im Ort und brachte Altpapier zum Container am Hafen, danach musste er noch kurz ins Rathaus wegen einer PR-Sache. Tjark war von seinem Freund zum Krabbenfischen abgeholt worden und ohnehin zu klein für eine solche Botschaft. Und Theelke lag seit zwei Stunden nebenan an der Dialyse. Wie jeden zweiten Tag. Nebenbei hörte sie zum x-ten Mal ihre Märchen-CD mit den Einhörnern, Elfen und Zauberern, die sie schon auswendig kannte, die jeder in ihrer Familie auswendig kannte, gerade war sie an der Stelle, wo der Drache von der frechen Elfe an der Nase herumgeführt wird, von da ab dauerte es noch fünf Minuten, dann würde Theelke die CD wechseln und eine nicht ganz so aufregende Folge ihres liebsten Kinderkrimis hören. Natürlich wusste Miras Tochter, dass etwas nicht in Ordnung war. Seit vier Wochen durfte sie keinen Sport mehr treiben, hätte sie auch gar nicht gekonnt, schlapp, wie sie war. Selbst im Garten schaffte sie es gerade mal, am Rand des Sandkastens zu sitzen und hin und wieder ein Förmchen zu füllen, obwohl sie für solche Spielereien eigentlich auch schon zu alt war. Doch an Schaukeln oder Ballspielen war nicht mal zu denken. Zudem der Kopfschmerz und die anhaltende Übelkeit. Letzte und vorletzte Woche hatte der Inselarzt kommen müssen, weil ihr Blutdruck bedenklich gestiegen war.

«Ach, Mama», sagte Theelke immer etwas altklug. «Mach dir doch nicht solche Sorgen. Das wird schon!» Womöglich war ihre Tochter trotz ihrer acht Jahre diejenige in der Familie, die mit all dem am besten umgehen konnte.

Oft hatte diese kindliche Zuversicht die ganz dunklen Wolken vertrieben. Doch heute war es anders. Das Fax hatte jeden Anflug von Zweckoptimismus im Keim erstickt. Das, was dort grau auf weiß gedruckt stand, ließ kein krampfhaft positives Denken mehr zu. Es musste etwas passieren. Und zwar ein Wunder!

Die Glocke am Hausgiebel bimmelte. Mira blieb, wo sie war.



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